bert_12505189Bindungsangst
Ich lehne mich jetzt mal weit aus dem Fenster, weil ich ja nicht alle Details bei ihm und euch kenne. Aber alles was du schreibst, schreit für mich nach Bindungsangst.
Dass er den Kontakt zu seiner Familie abgebrochen hat, ist schon sehr bezeichnend. Die Familie ist die Sozialisationsinstanz, die uns Bindung beibringt. Und wenn er schon so weit ist, dass er den Kontakt abgebrochen hat, ist in der Familie anscheinend was sehr schief gelaufen. Macht ja kein Kind egal welchen Alters "einfach so". Auch fehlende oder nur sehr lockere Freundschaften zeigen, dass er keine Bindungen hat bzw zulassen kann. Dass er dich idealisiert, ist auch sehr typisch für Bindungsangst. Was er in dem Bad gemacht hat? Er hat sich verbarrikadiert. Es war ein besonderer Tag, dein Geburtstag und das war ihm klar und das könnte starke Panik in ihm ausgelöst haben. Weil es dann ja was bedeutet und nicht mehr namenlos und leicht abbrechbar ist. Das "leicht abbrechbar" klingt jetzt ganz furchtbar, aber bei Bindungsängstlichen (BÄ) ist es paradox: Je tiefer die Gefühle sind, desto größer die Panik und desto größer der Wunsch, sich schnell entziehen zu können.
Weil Bindung für sie bedrohlich ist. Das Verhalten mit dem Bad mutet absurd an, aber ich hab mal von einem Bekannten mit Bindungsangst gehört, dass er sich ins Bad verbarrikadiert hat als seine Partnerin wissen wollte, ob sie jetzt ein richtiges Paar sind. Du kannst ja mal ein bisschen googeln und darüber nachlesen, wie sich das so äußert und ob du da die typischen Symptome wiedererkennst.
Ich muss jetzt leider den Zeigefinger erheben, weil viele immer sagen "Ach, dann liebt er mich ja wirklich. Die Bindungsangst kriegen wir schon hin!". Das stimmt so nicht.
Voraussetzung ist erstmal, dass er erkennt, dass er Bindungsangst hat, woher das kommt (Ereignisse im Leben) und wie sich das bei ihm äußert. Viele BÄ halten sich einfach für unabhängige Einzelkämpfer und merken gar nicht, wie sie immer wieder ein Muster wiederholen, um sich entziehen zu können. Denn das Muster ziehen sie ihr Leben lang schon durch, aber sie sind sich einfach nicht darüber bewusst! Und wenn er das gerafft hat, musst du wahnsinnig viel einstecken. Manche Menschen können das, manche halten das einfach nicht aus. Denn solche Beziehungen gehen nur in ganz langsamen Schritten voran und die Partner verlieren dann schnell die Geduld oder sie werden wütend, weil sie den BÄ als Egoisten wahrnehmen oder die Hoffnung verlieren, weil der BÄ auch mal 2 Schritte wieder zurückmacht. Oder er inszeniert Dramen und wenn der Partner dann labil oder abweisend reagiert, nehmen sie das als Grund um abzuhauen. Das ist also alles ein richtiger Kampf und richtig nervenaufreibend. Allerdings für beide. BEIDE müssen sich auf einen Kampf einlassen - einen Kampf gegen die Störung. Häufig wird in Büchern und Artikeln nicht gesagt, wie schwer das auch alles für den BÄ ist. Der sitzt nämlich auch nächtelang da und heult im Badezimmer oder kotzt sich die Seele aus dem Leib, weil er einfach unter zuviel Nähe oder Druck bzw seinen eigenen, schmerzhaften Emotionen leidet. Das ist auch kein Kampf, der ein paar Monate dauert, sondern der geht ewig! Es wird mit der Zeit immer etwas leichter und besser, wenn beide gewillt sind, aber es wird nie "normal" wie in anderen Beziehungen sein.
Normal heißt es, man solle unbedingt die Finger von BÄ lassen. Das entspricht nicht meiner Meinung. Am Ende sind das auch nur Menschen und sie werden durch ihre Störung, durch die sie ja selbst leiden, stigmatisiert und ausgeschlossen. Ich kann dir nicht sagen, dass es gut oder nicht gut ist, den Kampf aufzunehmen. Das liegt immer daran wie der bindungsängstliche Partner bereit ist, an sich zu arbeit und sich vieles einzugestehen, wie stark er selbst ist, wie psychisch stark der "gesunde" Partner ist und wie groß die Emotionen zueinander sind, damit man das alles auf sich nimmt. Auch wenn du ihn liebst, bitte achte auf dich selbst. Du hast nur dieses eine Leben. Und wenn das trotz Kampf mit euch nicht klappt, liegt das nicht daran, dass du oder er fehlerhaft ist, dann ist er einfach nur nicht gegen seine mächtigen Dämonen angekommen.