yente_12773308Liebe Samaya,
diesmal bin ich diejenige mit dem schlechten Gewissen, weil ich auf eine Antwort so lange warten lasse. Ich hab mir einige Tage Zeit gelassen, um in Ruhe darüber nachzudenken, über deine Worte, die so aufbauend wie erschreckend für mich waren. Aufbauend, weil in jedem Satz soviel Wärme und Mitgefühl mitschwingt, erschreckend, weil sie mich so stark zum nachdenken bewegen. Als ich mich in diesem Forum eingetragen habe, wusste ich nicht, welche Tür ich damit aufstosse, und wenn ich es gewusst hätte, hätt ich wahrscheinlich direkt umgedreht.
Du hast recht, was du über meinen Vater sagst, er ist ein wunderbarer Mensch. In deinen letzten Sätzen schreibst du, ich bin die Steuerfrau meines Lebens und mein Vater hat es mal ganz ähnlich ausgedrückt: "Stell dir vor dein Leben ist ein Film: Wer ausser dir sollte da wohl die Hauptrolle spielen?"
Du hast nach seinem Sternzeichen gefragt: Er ist Jungfrau, und mit seiner ausgeglichenen und ruhigen Art hat er mir schon oft den Wind aus den Segeln genommen.
Ich möchte dir noch ein wenig über meine Mutter erzählen, aber vorab noch kurz, warum ich vorher geschrieben habe, dass ich direkt umgedreht wäre, hätte ich gewusst, welche Tür ich aufstosse. Vor 2 Jahren habe ich bereits eine Art Therapie gemacht, weil ich regelmässig an meiner Mutter verzweifelt bin. Damals hat mich am meisten ihre übertriebene Sorge um mich beschäftigt. Es gab viele Gespräche, Seelenstrips, und mir wurden Theorien präsentiert, wie ich das Verhältnis ganz leicht ändern kann. Es hat nichts gebracht. Irgendwann hatte ich einen Traum, in dem ich meiner Mutter sagte, dass sie mir das Gefühl gibt, nichts zu können und alles falsch zu machen, oder warum sollte sie sonst ständig Sorgen haben. Sie hat mir in diesem Traum geantwortet, dass sie Sorgen hat, weil sie mich so unendlich liebt. Sie weiss dass ich alles kann und sie ist stolz auf mich, aber ich bin ihre Tochter und sie wird immer Angst haben, das mir was passieren könnte. Nach diesem Traum hab ich die Therapie abgebrochen, weil ich festgestellt habe, dass sich das Thema Sorge erledigt hat. Ich habe einfach meine Sichtweise verändert und wenn mir heute meine mutter sagt, sie hat angst um mich und ich solle gut aufpassen, denke ich mir, sie sagt es, weil sie mich liebt, nicht, weil sie mir nichts zutraut.
Ich wusste bereits damals schon, dass es noch mehr Sachen gibt, wie z. B. ihre Kontrolle und Einengung, aber ich hatte erst mal keine Kraft mehr, weiterzugehen. Meistens holt es einen ja zum gegeben Zeitpunkt wieder ein und ich denke, das ist mir mit dem Eintrag in dieses Forum passiert.
Liebe Samaya, mit deinen Vermutungen und deiner Einschätzung hast du auch diesmal einen Treffer nach dem anderen gelandet, jeder Satz, den du schreibst, könnte aus dem Mund meiner Mutter stammen. Nur bei einer Sache liegst du ausnahmsweise nicht ganz richtig, aber auch nicht ganz falsch: Du fragst, ob meine Mutter jung Mama wurde und ob ich gewollt war. Bei meiner Mutter war alles geplant. Erst Ausbildung, dann Heiraten, dann das erste Kind (meine ältere Schwester) und dann ich. Beziehungsweise, nicht ich, sondern eigentlich ein Kind, das anstatt mir da sein sollte. Das 2. Kind, das die Familie komplett hätte machen sollen, hat meine Mutter verloren. Sie erzählt nicht viel davon, aber sie hat es mal nebenher erzählt, als sie meinte, dass es sich wie ein Faden durch Ihre Familie zieht, weil bereits meine Oma und Uroma ein Kind verloren haben. Wie mein Papa mir dann mal erzählte, kam das Baby meiner Mama viel zu früh und war nicht überlebensfähig. Es muss das Schrecklichste im Leben meiner Mutter gewesen sein und ich glaube sie hat es auch nie verarbeitet. Und weil sie aber auf jeden Fall 2 Kinder wollte, war ich dann also an der Reihe.
Das meinte ich, als ich sagte, du liegst nicht ganz Richtig, aber auch nicht ganz falsch, weil ich generell kein Wunschkind war, es würde mich nicht geben, wenn das Kind vor mir nicht gestorben wäre. Ich war der Ersatzspieler, und habe mich selbst auch lange so gesehen.
Aber ich möchte nicht in der Vergangenheit hängen bleiben und nach Gründen suchen, warum ich so bin, sondern mich so wahrnehmen, wie ich bin und dabei feststellen, dass ich nicht mehr "gegen" Nähe kämpfen muss.Wie du schon sagst, damals war ich ein Kind, heute bin ich erwachsen und ich brauche keine Sicherheitsabgrenzungen mehr.
Jetzt glaube ich langsam, ich bin im WM-Forum völlig falsch, aber ich hoffe, es wird entschuldigt, weil meine ursprüngliche Frage ja doch mit einem WM zu tun hatte. Was lernen wir alle daraus? Meistens liegt das Problem tiefer, als zunächst angenommen.
Liebe Samaya, dir möchte ich besonders danken, du hast mich an der Hand genommen und mir bei der Abzweigung auf meinem Lebensweg gezeigt, welches der Richtige Weg ist (auch wenn ich so gern die Abkürzung gegangen wäre). Ich werde mir jetzt erst mal Zeit nehmen, meine Gedanken zu ordnen. Deine Worte schwirren mir täglich im Kopf rum und erreichen meine Träume und es wird noch eine Weile dauern, bis ich sie integrieren und richtig "aufnehmen" kann
Meine liebe Samaya, ich danke dir für alles. Du bist eine wunderbare Frau und ich hoffe sehr für dich, dass du irgendwann die Kraft und Ausdauer hast, deine eigene, verletzte Seele zu heilen. Und bis dahin, hoffe ich, dass unser kleiner Dank und zu sehen, wie deine Worte helfen, zumindest ein Pflaster darauf sind.
Cassaia