Geschichte 1)
"Ich rufe sie nicht an. Sie findet mich gut. Sehr gut sogar. Aber ich verderbe es sowieso wieder. Ich verderbe es immer. Am Anfang bin ich der humorvolle, charmante Kerl, in den sie sich verliebt hat. Aber schon nach den ersten Wochen kann ich die Enttäuschung auf ihrem Gesicht sehen. Mal bin ich nicht ganz so lustig wie erwartet, mal weniger verwegen. Ich bin kleinlich und habe keine Selbstironie. Es gelingt mir immer seltener, diese Unzulänglichkeiten, die ich anfangs so geschickt zu umspielen weiss, vor ihr zu verbergen. Nein, ich rufe sie nicht an.
Für Oli war Ivana die aufregendste Begegnung der letzten Jahre. Man präsentiert dir die leckerste Praline, die du nur deshalb nicht anrührst, weil du dich an einem Stück Nuss, das sich darin befindet, verschlucken und tot umfallen könntest?, sage ich. Genau. Nur dass man als Toter mit einem besseren Ruf davonkommt. - Du übertreibst. Jeder hat schon mal eine Frau enttäuscht, und ich weiss von Menschen, die waren so was von tot und kommen trotzdem ganz schön schlecht weg. - Mag sein, vielleicht geht auch um Selbachtung. Und vor lauter Selbstachtung, ignoriert Oli nun Ivanas Anrufe, lässt ihre Emails unbeantwortet und ich habe sogar eine Freundin erfunden. Denn neulich, als er und Ivana sich zufällig in der Uni trafen, und ein gemeinsamer Kaffee nicht mehr zu vermeiden war, erzählte er ihr ganz beiläufig, dass er sich leider in eine andere verliebt habe: Ich will ganz ehrlich zu dir sein, denn ich fahre niemals zweigleisig. Den Orden für seine Ehrlichkeit kriegte er von ihr. Du bist der aussergewöhnlichste Mann, der mir je begegnet ist, sagte sie traurig, Klar, dass das auch andere Frauen merken. Aber ich vermassle es eh immer. Jedesmal. Sie gab ihm einen letzten freundschaftlichen Kuss und ging.
Danach blieb Oli noch lange vor dem kalten Kaffee sitzen, er verpasste die Vorlesung, da er sich sowieso nicht hätte konzentrieren können, und fragte sich, ob er vielleicht nicht doch in der Lage wäre, sich dem Bild, das Ivana von ihm hatte, ansatzweise anzugleichen. Dann verwarf er den Gedanken wieder. Gegen diesen geistreichen, ausgeglichenen und nun auch grundehrlichen jungen Mann hätte ich keine Chance. Als Oli an diesem Abend ins Bett ging, schoss ihm ein einziger Gedanke immer wieder quälend durch den Kopf: Ich bin der einzige Mann auf der ganzen Welt, der eifersüchtig ist auf sich selber."
Quellenangabe;
Nicht anrufen! - Von Güzin Kar
Erschienen in der Weltwoche Ausgabe 06/09
Geschichte 2)
"Bitte höre, was ich nicht sage! Laß Dich nicht von mir narren. Laß Dich nicht durch das Gesicht täuschen, das ich mache, denn ich trage Masken, Masken, die ich fürchte, abzulegen. Und keine davon bin ich. So tun als ob ist eine Kunst, die mir zur zweiten Natur wurde. Aber laß Dich dadurch nicht täuschen. Ich mache den Eindruck, als sei ich umgänglich, als sei alles heiter in mir, und so als brauchte ich niemanden. Aber glaub mir nicht! Mein Äußeres mag sicher erscheinen, aber es ist meine Maske. Darunter bin ich, wie ich wirklich bin: verwirrt, in Furcht und allein. Aber ich verberge das. Ich möchte nicht, daß es jemand merkt. Beim bloßen Gedanken an meine Schwächen bekomme ich Panik und fürchte mich davor, mich anderen überhaupt auszusetzen.
Gerade deshalb erfinde ich verzweifelt Masken, hinter denen ich mich verbergen kann: eine lässige Fassade, die mir hilft, etwas vorzutäuschen, die mich vor dem wissenden Blick sichert, der mich erkennen würde. Dabei wäre dieser Blick gerade meine Rettung. Und ich weiß es.
Wenn es jemand wäre, der mich annimmt und mich liebt... Das ist das einzige, das mir Sicherheit geben würde, die ich mir selbst nicht geben kann: daß ich wirklich etwas wert bin. Aber das sage ich Dir nicht. Ich wage es nicht. Ich habe Angst davor.
Ich habe Angst, daß Dein Blick nicht von Annahme und Liebe begleitet wird. Ich fürchte, Du wirst gering von mir denken und über mich lachen. Und Dein Lachen würde mich umbringen. Ich habe Angst, daß ich tief drinnen in mir nichts bin, nichts wert, und daß Du das siehst und mich abweisen wirst.
So spiele ich mein Spiel, mein verzweifeltes Spiel: eine sichere Fassade außen und ein zitterndes Kind innen. Ich rede daher im gängigen Ton oberflächlichen Geschwätzes. Ich erzähle Dir alles, was wirklich nichts ist, und nichts von alledem, was wirklich ist, was in mir schreit; deshalb laß Dich nicht täuschen von dem, was ich aus Gewohnheit rede.
Bitte höre sorgfältig hin und versuche zu hören, was ich nicht sage, was ich gerne sagen möchte, was ich aber nicht sagen kann. Ich verabscheue dieses Versteckspiel, das ich da aufführe. Es ist ein oberflächliches, unechtes Spiel. Ich möchte wirklich echt und spontan sein können, einfach ich selbst, aber Du mußt mir helfen. Du mußt Deine Hand ausstrecken, selbst wenn es gerade das letzte zu sein scheint, was ich mir wünsche. Nur Du kannst mich zum Leben rufen.
Jedesmal, wenn Du freundlich und gut bist und mir Mut machst, jedesmal, wenn Du zu verstehen suchst, weil Du Dich wirklich um mich sorgst, bekommt mein Herz Flügel, sehr kleine Flügel, sehr brüchige Schwingen, aber Flügel!
Dein Gespür und die Kraft Deines Verstehens, geben mir Leben. Ich möchte, daß Du das weißt. Ich möchte, daß Du weißt, wie wichtig Du für mich bist, wie sehr Du aus mir den Menschen machen kannst, der ich wirklich bin, wenn Du willst.
Bitte, ich wünschte Du wolltest es. Du allein kannst die Wand niederreißen, hinter der ich zittere, Du allein kannst mir die Maske abnehmen. Du allein kannst mich aus meiner Schattenwelt, aus Angst und Unsicherheit befreien, aus meiner Einsamkeit.
Übersieh mich nicht. Bitte übergeh mich nicht! Es wird nicht leicht für Dich sein. Die langandauernde Überzeugung, wertlos zu sein, schafft dicke Mauern. Je näher Du mir kommst, desto blinder schlage ich zurück. Ich wehre mich gegen das, wonach ich schreie. Aber man hat mir gesagt, daß Liebe stärker sei als jeder Schutzwall und darauf hoffe ich.
Wer ich bin, willst Du wissen? Ich bin jemand, den Du sehr gut kennst und der Dir oft begegnet."
Quellenangabe: Charles C. Finn - September 1966